Rückblick: Die letzten Wochen, Monate, Jahre fliegen nur so dahin. Auch wenn ich als Struktur liebender Mensch, Routinen begrüße, habe ich Angst vor dem großen Monster Alltag. Es frisst sich durch das Leben, vernichtet Beziehungen, die Figur und die Zeit. Viele Lottomillionäre stehen nach ein paar Jahren wieder da, wo sie herkamen. Nicht die großen Ereignisse bestimmten darüber, wer wir sind. Es sind die kleinen Entscheidungen, die wir tagtäglich treffen, die uns und unser Leben formen und zu den großen Ereignissen führen. Millionen von Schneeflocken müssen zuerst auf einen Ast fallen, bis dann eine einzige, die letzte, den ganzen Ast zum brechen bringt.
Dabei ist es leider nicht hilfreich, dass unser Gehirn auf kurzzeitige Belohnungen und Bestrafungen gepolt ist. Es ist der Weg des geringsten Widerstandes, den es immer und immer wieder sucht. Jetzt die Chips auf der Couch mit Netflix oder lieber eine Yoga Session, danach frisch kochen und am Küchentisch ohne Ablenkung essen? Wie fühlt sich ein Mensch, körperlich und seelisch, der sich jahrelang meistens für das eine oder das andere entschieden hat?
Aber wie bekommt man dieses Monster gebändigt, wenn selbst unser Gehirn ihm aus der Hand frisst? Meine Tochter hat zwei Hauptstrategien gegen Monster entwickelt. Die eine heißt verstecken, die andere mit uns zusammen fantasieren, wie man es um die Ecke bringen kann. Da das Leben bekanntermaßen keine Generalprobe ist, Decke über den Kopf, ist nicht…Muss die andere Strategie her. Wie bringt man den Alltag um die Ecke? Indem man um die Ecke denkt, ihn auf den Kopf stellt und solange schüttelt, bis nichts mehr raus fällt. Ok, ok der Vergleich hinkt und doch möchte ich dem Alltag zumindest an den Kragen.
Die Letzten zwei Jahrzehnte habe ich versucht mich zusammenzureißen, war motiviert, habe gemacht und getan und doch das meiste nicht umgesetzt. Immer wieder frage ich mich, wie weit ich jetzt wäre, wenn ich damals konsequent mit Yoga, Meditation, Zuckerverzicht, innerer Arbeit, Selbsthypnose, Bloggen etc. etc. weiter gemacht hätte. Es fühlt sich an wie gegen Windmühlen kämpfen.
Dabei habe ich durchaus auch große Gewohnheiten etabliert, die mich viel Kraft gekostet haben, wie vegetarische, zeitweise vegane Ernährung. Ich habe mit dem Rauchen aufgehört. Wieso hat das geklappt? In beiden Fällen ging es um etwas größeres als mich selbst, nämlich um das Tierwohl und um meine (damals nicht vorhandenen) Kinder. Beides war auch für mich persönlich ein großer Gewinn, keine Frage, doch für mich alleine, hätte ich es nicht geschafft. Jetzt bricht nicht gerade der Weltfrieden aus, wenn ich anfange zu meditieren. Oder? Also muss ich es irgendwie anders schaffen. Irgendwie muss ich den Alltag zu meinem Freund machen. Ein Freund der mich wie ein Floß über die Strömungen des Lebens trägt, sachte schaukelnd, hier und da ein Ruck, aber insgesamt smooth. Irgendwie muss ich mich gleichzeitig wichtig genug fühlen machen, dass ich auch für mich selbst etwas ändere, ohne, dass ich es am Ende doch wieder sein lasse. Mit meinem Perfektionismus im Huckepack gegen das ewige es ist nie gut genug antreten, also gegen meinen Perfektionismus quasi. Ist das nicht eine verrückte Idee? Mittels Selbstoptimierung die Selbstoptimierung stoppen? Oder verarscht mich mein Gehirn gerade wieder? Ich weiß mir nicht mehr anders zu helfen.
Zurück zum Alltag: Mit vielen kleinen Verhaltensänderungen, so genannten Mikro Gewohnheiten, möchte ich mich nach und nach umprogrammieren. Zu einem zufriedeneren, entspannteren, klareren Menschen. Mir geht es nicht darum schlanker zu werden, besser auszusehen oder erfolgreicher zu sein. Das ist so: Früher verstand ich nie die Songtexte auf englisch und sang irgendein Kauderwelsch. Als ich anfing zu verstehen, war es wie eine Offenbarung. So stelle ich es mir jetzt auch vor, wenn ich innerlich endlich eine neue Sprache lerne, werde ich die Dinge anders wahrnehmen. Wenn ich zufriedener mit mir selbst bin, muss ich mich nicht erst auf zehn Jahre alten Fotos attraktiv finden, wo ich doch damals davon überzeugt war, hässliche Beine zu haben. Ich will endlich zufriedener sein mit dem was ich habe und aufhören auf einen Zeitpunkt x hinzuarbeiten, an dem ich endlich meine Traumfigur erreicht und den Traumjob gefunden habe. Das Leben ist jetzt! Und das will ich endlich checken. Nicht nur rational, sondern auch emotional.
Doch wieder sabotiert mich mein Gehirn. Dafür hat es zwei tolle Strategien entwickelt:
a) Perfektionismus: Das wird doch eh wieder nichts.
Oder…
b) Ablenkung: Lies doch lieber dieses interessante Buch, bevor du dokumentierst wie es vorangeht. Es läuft ja nicht davon…
Genau diese Strategien haben dazu geführt, dass ich nicht seit zwanzig Jahren täglich Yoga praktiziere oder Ähnliches. Aber jetzt ist Schluss ich mache ein Jahr Bootcamp ohne Bootcamp, denn ich habe schlicht und einfach keine Zeit dafür. Das soll jetzt nebenher laufen und ganz tief gehen.
Die Regeln:
- Ein Jahr lang möchte ich jede Woche eine neue Gewohnheit etablieren.
- Dabei will ich mich beobachten und es hier dokumentieren.
- Gewohnheiten, die nichts taugen, fliegen nach einem Monat raus.
- Pro Monat nur eine größere/wichtigere Gewohnheit, sie mir sehr am Herzen liegt.
In all den Jahren meiner Selbstoptimierung sind ein paar Dinge hängengeblieben, die ich wirklich gerne (endlich) in meinen Alltag integrieren will. Da gibt es Alan Watkins und seine TED Talks, Stefanie Stahl, die Therapeutin der Nation und viele andere mehr, von denen ich in all den Jahren immer noch überzeugt bin. Doch habe ich all ihre „Tipps“ in meinen Rucksack gepackt, ohne sie umzusetzen. Es ist wie zu verreisen und dieses Buch, das man mitgeschleppt hat, zuhause auszupacken und ich sich zu denken, hätte ich es nur daheim gelassen. Ich will dieses Buch endlich lesen!